Unbekannt und unerreichbar? Wie man passive Kandidat:innen aktiviert

Unbekannt und unerreichbar? Wie man passive Kandidat:innen aktiviert

Seit Jahren zeigen diverse Studien, dass eigentlich nur ein kleiner Teil der Fach- und Führungskräfte aktiv auf der Suche nach einem neuen Arbeitgeber ist. Der weitaus größere Teil - wir sprechen von mehr als 70% - schaut nicht proaktiv nach Joboptionen. Allerdings sind etwa 60% dieser Gruppe durchaus ansprechbar. Sie denken über einen Jobwechsel nach oder können sich eine Veränderung zumindest vorstellen.

Laura Chrzanowski • 25.05.2022

Doch wer sind diese passiven Zielkandidat:innen? Die schiere Masse zeigt ganz eindeutig, dass es sich nicht um eine homogene Gruppe von Fach- und Führungskräften handelt. Wir sind auf Spurensuche gegangen.

Grundsätzlich weisen passive Kandidat:innen erstmal ähnliche Charakteristika auf.

  • Sie stehen unter keinem Handlungsdruck, da sie sich in einem festen Beschäftigungsverhältnis befinden.
  • Bis zu einem gewissen Grad, sind die Kandidat:innen zufrieden mit ihrer aktuellen Stelle und benötigen stärkere Anreize, um für einen Wechsel begeistert zu werden.
  • Durch ihren aktuellen Job haben passive Kandidat:innen wenig Zeit für “ungeplante Jobwechsel-Aktivitäten”

Warum aber all den Aufwand betreiben, anstatt direkt aktive Bewerber:innen zu adressieren?

In manchen Zielgruppen hat man - ehrlich gesagt - gar keine andere Wahl, weil die entsprechenden Profile so stark nachgefragt werden, dass es kaum aktive Bewerber:innen gibt. Aber auch bei anderen Zielgruppen gibt es überzeugende Argumente für die Ansprache passiver Kandidat:innen:

  • Passive Kandidat:innen befinden sich oft im mittleren oder späteren Teil ihrer Karriere und bringen wertvolle Erfahrung mit. Ihre Lebensläufe zeigen charakteristisch berufliche Stabilität und Effizienz.
  • Häufig arbeiten passive Kandidat:innen in Bereichen, in denen qualifizierte Fachkräfte schwer zu finden sind (z.B. IT, Marketing etc.). Dadurch sind sie - falls sie mal in die Rolle des aktiven Kandidaten schlüpfen - auch nur durchschnittlich 10 Tage “auf dem Markt” bis sie eine andere Stelle gefunden haben.
  • Wenn Sie sich letztendlich zu einem Jobwechsel entschließen, bleiben sie im Schnitt 21% länger in einem Unternehmen als aktive Bewerber:innen. Das ist unter anderem darauf zurückzuführen, dass Jobangebote vorab eingehend geprüft und im Vergleich zum aktuellen Job bewertet werden.

Same same but different?

Trotz dieser Gemeinsamkeiten zeigen sich bei genauerer Betrachtung auch differenzierende Charakteristika, Unserer Erfahrung nach lassen sich im Besonderen 5 verschiedene Kandidat:innen-(Stereo)-Typen unterscheiden, die auf unterschiedliche Art angesprochen werden wollen.

1. Die Selbstoptimierer:innen: Die Selbstoptimierer:innen möchten sich privat und beruflich ständig weiterentwickeln. Sie sind kontinuierlich auf ihrem beruflichen Weg nach oben, nie lange in derselben Position und streben nach Verantwortung, Entfaltung und Veränderung. Bei der Ansprache dieses Typs liegt der Fokus ganz klar auf Weiterentwicklungsmöglichkeiten und Aufstiegschancen. Um sie zu überzeugen, hilft es, sich intensiv mit vergangenen Karriereentscheidungen und Projekten zu beschäftigen. Kennt man die mittelfristigen Ziele der Kandidat:innen, kann man ganz konkrete Angebote machen, wie diese realisiert werden können.

2. Die Benchmarker: Sie suchen nach Rückkopplungen für Ihren eigenen Marktwert und holen sich dafür verschiedene Angebote ein. Sie verhandeln gerne und gehen nicht selten Risiken ein. Mit den Benchmarkern geht man aber auch als Unternehmen ein gewisses Risiko ein. Sie sind “Söldner” und können leicht von anderen oder vom vergangenen Arbeitgeber durch ein geringfügig besseres Angebot überzeugt werden.

3. Die Gemütlichen: Die Gemütlichen sind im Großen und Ganzen zufrieden mit ihren Jobs. Sie sind eher risikoavers und zeichnen sich durch eine überdurchschnittlich lange Betriebszugehörigkeit aus. Die Gemütlichen fühlen sich Ihren Kolleg:innen und Organisationen stark verbunden. Besonders wichtig bei dieser Zielgruppe ist der Beziehungsaufbau. Die Kandidat:innen müssen überzeugt werden, dass sie diese Sicherheit auch in einem anderen Unternehmen noch mal finden können. Außerdem braucht es einen plausiblen Impuls für eine Wechselmotivation. Vergleiche, welche Benefits das aktuelle Unternehmen bietet oder welcher rote Faden sich im Lebenslauf in Bezug auf Interessen oder Projekte erkennen lassen. Ein entsprechendes Angebot muss in jedem Fall einen sehr offensichtlichen Vorteil bieten.

4. Die Desillusionierten: Die Desillusionierten zeichnet vor allem eines aus - Ernüchterung. Sie haben wiederholt die Erfahrung gemacht, dass Versprechungen, die Arbeitgeber machen, nicht eingelöst werden. Sie sind dadurch äußerst misstrauisch und leben nach der Prämisse “man kommt eh vom Regen in die Traufe”. Hier hilft nur Authentizität. Benefits müssen ganz konkret formuliert und beschrieben werde, Buzz Words sind zu vermeiden. Wo möglich, hilft auch eine Erst-Ansprache durch Fachkolleg:innen, die als weitaus glaubwürdiger wahrgenommen werden als jede/r Recruiter:in und direkt einen erstes Eindruck vom Kollegium vermitteln.

5. Die Entnervten: Die Entnervten werden von Jobanfragen sprichwörtlich überschwemmt. Sie sind durch ihre gefragten Qualifikationen “Goldstaub” und müssen mit besonderer Sorgfalt angesprochen werden. Ein grundsätzliches Problem dieser Kandidat:innen ist die fehlende Auseinandersetzung der Rekrutierer:innen mit ihren Profilen. Ein Großteil der Anfragen, die in ihren Postfächern landen, ist für sie schlicht irrelevant. Zum Beispiel, weil ein Frontend-Entwickler, der vor allem mit React gearbeitet hat als Backend-Developer angefragt wird. Die Erfahrung zeigt, dass diese Kandidat:innen durchaus erreicht werden können, wenn man ein fachlich genau passendes, sehr interessantes Angebot macht und die Ansprache sehr individuell formuliert. Anders gesagt, bei den Entnervten muss ankommen, dass genau sie gemeint sind und dass es sich um ein individuell für sie relevantes Angebot handelt.

Zum Schluss noch ein paar generelle Tipps, wie aus passiven am Ende vielleicht doch ganz aktive Bewerber:innen werden.

  • Die ersten Kontakte mit passiven Kandidat:innen sind definitiv KEINE Bewerbungsgespräche. Das muss man sich bei der Ansprache immer wieder bewusst machen. Im Vordergrund steht das Thema Beziehungsaufbau (Talent Relationship Management). Es geht darum, eine gemeinsame Basis zu finden, um Vorstellungen abzugleichen. Im Zweifelsfall kann dies dann auch zu einem späteren Zeitpunkt für die Ansprache bezüglich einer relevanten Joboption genutzt werden. Stichwort: Nachhaltigkeit.
  • Um den Kandidat:innen ein überzeugendes Angebot zu machen, sollte man Informationen über ihre Ziele, Werte und potentielle Wechselmotive sammeln. Nur so kann man sie letztendlich von einem Wechsel überzeugen. In jedem Fall braucht es für die Einschätzung, welche Projekte oder Schritte für die Kandidat:innen interessant sein könnten, ein entsprechendes Maß an Fachexpertise im betreffenden Bereich.
  • Wo möglich, kann es helfen, wenn die Ansprache durch Fachkolleg:innen (z.B. Hiring Manager) erfolgt.
  • Bei der Kontaktaufnahme sollte man unbedingt auf Diskretion achten. Gerade die Ansprache am Arbeitsplatz ist auch rechtlich reguliert. Man sollte sich also vorab mit dem Rechtsrahmen vertraut machen.

Zusammenfassend kann man das “Geheimrezept” für die Ansprache passiver Kandidat:innen wohl auf zwei Punkte herunterbrechen - Individualität und Authentizität. Beides erfordert definitiv einen größeren Zeitaufwand, fachliches Know How und sensibles Fingerspitzengefühl. Im Ergebnis bekommt man als Unternehmen aber auch jede Menge zurück.


Wenn Sie Ihre Kommunikation mit aktiven und passiven Kandidat:innen mit unserer Unterstützung optimieren möchten, nehmen Sie sehr gerne Kontakt zu uns auf. Mehr zu unseren Beratungsleistungen finden Sie hier.