HR muss die Chancen jetzt ergreifen - Ein Interview mit Professor Dr. Walter Jochmann
Die Digitalisierung von Geschäftsmodellen und Prozessen sowie gesellschaftliche Veränderungen in Richtung Nachhaltigkeit und Wandel von Arbeitswerten führen zu größeren Transformationen in den Unternehmen. Welche Anforderungen kommen in dem Zusammenhang auf HR zu? Und wie ist HR dafür gewappnet? Wir hatten die Gelegenheit mit Professor Dr. Walter Jochmann (Geschäftsführer Kienbaum) darüber zu sprechen.
Interview: Jens Bäumer • 25.10.2021
betterHR: Lange Jahre saßen die HR–ler am Katzentisch und sind in die wesentlichen Entscheidungen des Unternehmens nicht eingebunden gewesen. Wie siehst du aktuell die Rolle und Bedeutung von HR in den Unternehmen?
Walter Jochmann: Die aktuelle Positionierung von HR variiert sehr stark, je nach eigenem Reifegrad des HR – Bereichs und der Bedeutung stark umkämpfter Fachkräfte für den Erfolg des jeweiligen Unternehmens. Hinzu kommt die Affinität der Führungsspitze zu Personalthemen.
"Die Rolle von HR wurde durch Corona definitv aufgewertet.“
Die Rolle von HR wurde durch Corona definitv aufgewertet. Neben dem Umsetzen gesetzlicher Auflagen und dem Managen organisatorischer Herausforderungen, wie Kurzarbeitergeld und Hygienekonzepten, ging es auch um neue und flexible Arbeitskonzepte und kulturelle Fragen von Führung, Zusammenhalt und Identität in einer virtuellen Welt. Hier konnte HR wichtige Felder besetzen und echte Wertbeiträge liefern.
Und dann sehe ich einen quasi verordneten Relevanzschub durch gesetzliche Vorgaben und Anforderungen, wie zum Beispiel Nachhaltigkeit und Klimaneutralität. HR hat hier nicht nur die Rolle, die Dienstwagenregelungen zu überprüfen und Prozesse anzustoßen, die in Richtung Klimaneutralität gehen, hier geht es vielmehr auch darum, die Arbeitgebermarke glaubwürdig in eine nachhaltige und moderne Richtung zu bringen.
Noch eines: In unseren Studien schauen wir uns regelmäßig an, wie sich das Rollenverständnis von HR verändert. Wir sehen hier immer noch eine große Differenz zwischen Wunsch und Wirklichkeit: Es gibt eine dominierende Verankerung von HR in den Experten- und Servicerollen, gefolgt von der HR Business Partner Rolle, mit einem eher strategischen Anspruch und mittlerweile ergänzt um die Rolle als Partner von Transformationsprozessen.
betterHR: Wie hat sich die Rolle im Laufe der letzten Jahre verändert?
Walter Jochmann: HR arbeitet seit 10 Jahren an ähnlichen Themen – Talent, Digitalisierung, Prozessoptimierung, jetzt ergänzt um New Work. Die Themen „Workforce -Transformation“ und „Anforderungen an die Zukunftskompetenzen“ stecken oft noch in den Kinderschuhen. Bei der Besetzung von HR-Toprollen in Konzernen sehe ich einen klaren Trend zu Business-Profilen und zur Verbindung der HR-Funktion mit Business Verantwortung, häufig in einer Doppelrolle.
"Im Mittelstand finden wir noch die klassischen – HR-Profile in der Spitzenrolle.“
Im Mittelstand finden wir noch die klassischen – HR-Profile in der Spitzenrolle und noch immer haben etwa 90% der HR-ler HR-Experten- und Service-Werdegänge.
Spannend ist, dass, trotz der Bemühungen um Prozessoptimierung und Digitalisierung, HR in den letzten 10 Jahren nicht effektiver oder kostengünstiger geworden ist, wir sehen immer noch eine vergleichbare Verteilung um HR-Headcount-Ratio.
betterHR: Warum ist das so?
Walter Jochmann: Es gab zwar Prozessoptimierungen, HR hat aber auch neue Aufgaben hinzubekommen. Vermutlich haben die von mir genannten Transformationsprozesse am deutlichsten dazu beigetragen, dass sich die HR – Rolle erweitert hat. Insofern gab es trotz der Effizienzgewinne in den Service Einheiten von HR insgesamt keine Reduzierung; es gab eine Verlagerung des Headcounts.
betterHR: Welche Herausforderungen wird HR zukünftig meistern müssen?
Walter Jochmann: Erstens haben sich die Unternehmen in den letzten Jahren massiv mit der Digitalisierung ihrer Prozesse und Produkte befasst. Dies hat in weiten Teilen zu Unternehmenstransformationen geführt, und das wird uns auch in den nächsten Jahren weiter beschäftigen.
Selbstverständlich ist der Arbeitsmarkt eine enorme Herausforderung für HR. Wir wissen das nicht erst seit gestern, aber mittlerweile hat der demographische Wandel die Unternehmen erreicht, und „passendes Personal“ wird in ganzen Branchen zum erfolgskritischen Faktor. Hinzu kommt der immense Bedarf an digitalen Profilen.
Dann erleben wir eine gesellschaftliche Transformation, bei der die Themen Umwelt, Wertewandel, Gerechtigkeit und Identität eine enorme Bedeutung erhalten.
"Das alles sind große Herausforderungen, gleichzeitig sind dies aber auch große Chancen für HR, sich bei den wirklich wichtigen Themen rechtzeitig zu positionieren.“
Das alles sind große Herausforderungen, gleichzeitig sind dies aber auch große Chancen für HR, sich bei den wirklich wichtigen Themen rechtzeitig zu positionieren.
betterHR: Welche Art von Transformation braucht HR und wie sollte sich HR positionieren?
Walter Jochmann: Ich persönlich gehe davon aus, dass die eigentlichen Konzepte aus den Centers of Competence (CoC) rund um die Themen „Learning“, „Talent“, „Performance“, „Leadership“ und „Compensation“ in Zukunft eine immer geringere Bedeutung haben werden.
HR-Expertise und Best Practice - Beispiele sind mittlerweile derart transparent für alle verfügbar, dass es weniger um die Entwicklung neuer Konzepte geht, sondern vielmehr um saubere (datenbezogene) Analysen (Stichwort: HR-Analytics) und die Anpassung bestehender Konzepte auf die eigenen Bedürfnisse. Diese müssen dann schlau und vor allem zusammen mit dem Business umgesetzt werden.
"Entscheidend wird aus meiner Sicht ein neuer Personalmix in HR sein...mit idealerweise Digital- und Startup Erfahrungen und mit stärkerer Job-Rotation.“
Entscheidend wird aus meiner Sicht ein neuer Personalmix in HR sein. Wichtig werden die Skill- und Kompetenzprofile der neuen HR-Rollen sein – mit idealerweise 20% IT, Digital- und Startup Erfahrungen, mit stärkerer Job-Rotation, mit Projekt -und Consultingfokus.
Und das wird schwer genug. Denn eines muss man klar sagen: Die Attraktivität der HR-Funktion ist in den letzten Jahren für (digitale) Talente nicht gestiegen – das wird zukünftig ein limitierender Faktor sein. Change in HR bedeutet auch, hervorragende Rollenprofile aus allen Business- und IT/Digitalbereichen in die eigene Profession zu holen und es bedeutet ein neues Denken in der HR-Spitze, geprägt durch die Bereitschaft zur Disruption, zu Themeninnovationen, neuen Kollaborationsmodellen und technologischer Affinität.
Für den erfolgreichen Wandel braucht HR neben guten Strukturen und digital gestützten Prozessen ein neues, unternehmerisches Steuerungsmodell, das mit der Messbarkeit des jeweiligen Wertbeitrags der HR - Leistungen, mit klarer Kunden- und Ergebnisverantwortung und einem ernsthaften Innovationszyklus, analog zu den Produktlebens-Zyklen Modellen, die wir aus der Produktinnovation kennen, agiert.
betterHR: Wie siehst Du die neue HR-Generation?
Walter Jochmann: Das ist ein zartes Pflänzchen. An den Universitäten dominieren in der Ausbildung HR naher Studiengänge die Wirtschaftspsychologie und die Personalwirtschaft – beide ohne wirklichen Veränderungspush. Erstgenannte Richtung erfreut sich seit einigen Jahren an hoher Attraktivität, für Top Betriebswirtschaftler und Juristen ist HR eine Nischenanwendung.
Den Durchbruch haben wir noch nicht erzielt – und auch nicht den Sog auf (digitale) Top Talente.
betterHR: Vielen Dank Walter, beim nächsten Mal möchte ich dann wissen, wie der Sog auf die digitalen Talente gelingen kann.
Das Interview führte Dr. Jens Bäumer, CEO von betterHR
Mehr zu unseren Beratungsleistungen gibt es hier: www.betterhr.de